Das unverständliche Gebrabbel, all die Statuen und Monumente einer exotischen Kultur, anziehend fremdländische Menschen – richtig, ich bin in Österreich.
Gut, ganz so schlimm ist es nicht. Nach so langer Abstinenz von meiner Muttersprache in Alltagsgesprächen, sollte man mir in Sachen Sprache die kurzzeitige Verwirrung zugestehen; der wienerische Dialekt entpuppte sich kurze Zeit später dann doch als Deutsch. Auch der Turm des Stephansdoms und die Büsten verdienter Professoren in der Galerie der Universität erinnerten mit längerem Hinschauen wieder an die Architektur und die Kunst, die man auch aus Deutschland kennt. Und die Menschen waren bei genauem Hinsehen gar nicht so fremd, sondern Österreicher.
Mein erster Stopp in der deutschsprachigen Welt brachte mich daher gefühlsmäßig fast zurück in die Heimat. Die Preise waren plötzlich wieder erschreckend astronomisch; als ich die Zugfahrkarten nach München und Köln kaufte (162,43 Euro), errechnete ich ernüchtert, dass ich für einen geringeren Preis die gesamte Strecke von Kenia bis Nord-Ägypten bewältigt hatte. Jammern half nicht, die österreiche Bundesbahn und ihr deutsches Pendant hießen mich eben auf ihre Art willkommen.
Auch die Aussagen der Graffiti konnte ich plötzlich wieder verstehen, weil sie nicht mehr mit arabischen Schriftzeichen oder der lustigen georgische Rundschrift an die Wand gepinselt worden waren. Ein “Heute schon verarscht worden?” an der Mauer einer Wiener Bank erinnerte mich für ein paar Sekunden an die teuren Bahntickets.
Doch der Ärger verflog genau so schnell, wie der Hunger kam. Im Einzimmer-Appartment meines vor ein paar Jahren wegen des Studiums nach Wien ausgewanderten Freundes Simon studierten wir die Speisekarte der Pizzeria Donna Diana. “Pizza Obama” war teuer und klang lecker (Thunfisch, Shrimps, Lachs und Kaviar!), “Pizza Sophia Loren” war günstiger und klang sexistisch (zwei Eier…), “Pizza Diavolo” war der Klassiker und wurde bestellt. Bei billigem Dosenbier und dem neuen Radiohead-Album in Endlosschleife diskutierten wir dann bis in die mittelfrühen Morgenstunden sehr emotional das Thema Guttenberg. Sehr Deutsch.
Mehr oder weniger ausgeschlafen wanderte ich dann am nächsten Morgen durch den ersten Wiener Bezirk. An einer Straßenkreuzung fiel mein Blick auf die enge Blutgasse. Fußgänger wurden dort vor dem möglichen Tod durch Erschlagen mit großen “Dachlawine!”-Schildern gewarnt. Als ob man sich das in der Blutgasse nicht hätte denken können. Diese Österreicher sind einem manchmal doch so fremd…
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Auf der Durchreise
Manchmal muss man etwas Neues wagen. Einfach die Sachen packen, sein Zimmer untervermieten, in der Uni ein Urlaubssemester nehmen und in den nächsten Flieger springen: 1LIVE-Reporter Andreas Spinrath war monatelang auf der Suche nach spannenden Menschen, Orten und Geschichten in der Welt unterwegs – und immer auf der Durchreise. Erlebnisse zwischen Kalkutta, Kairo und Köln.
Ein Projekt von WDR 1LIVE