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Channel: Andreas Spinrath
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Auf der Durchreise: Er ist weg

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Sie haben es wirklich geschafft. Drei Wochen haben die Ägypter in Kairo, Alexandria oder Suez protestiert und einen der mächtigsten Männer der arabischsprachigen Welt nach dreißig Jahren an der Spitze des Staates in die Knie gezwungen. Dass sie Mubarak an den Abgrund bringen könnten, hätten sie selbst noch vor kurzem nicht zu träumen gewagt.

0143_blog_wdr_spinrath_400.jpgIm Dezember 2010 führte mich meine Durchreise nach Ägypten. Rein gar nichts deutete während meines Aufenthaltes auf einen Regimewechsel hin, erst recht nicht in so absehbarer Zeit. Kairos Straßen waren hektisch und laut, aber der “Platz der Befreiung” im Herzen der Innenstadt wurde noch nicht von abertausenden Demonstranten bevölkert. Der Geruch der Freiheit lag nirgendwo in der Luft – nicht in der Studentenstadt Alexandria am Mittelmeer, nicht in den gewaltigen Tempeln von Luxor, nicht in den Hafenanlagen von Nuweiba. Statt der Aufbruchsstimmung mit der die Ägypter den ungeliebten starken Mann aus dem Amt jagten, regierte unter den jungen Menschen des Landes Resignation.

Dennoch war es denkwürdige Zeit: Ägypten war für mich immer das Land, in dem man ganz selbstverständlich Urlaub machen konnte; Busladungen voller Touristen bezeugten dies auch im Dezember. Dennoch sah ich nun auch die immer zur Kurzschlussreaktion neigende und geradezu omnipräsente Polizei und musste mich den strengen Reiseeinschränkungen beugen, die den Transport im Nildelta zu einer stressigen Tortur machen können.

0145_blog_wdr_spinrath_200.jpgDas Wichtigste waren aber die vielen Gespräche mit den Menschen vor Ort: Souvenirverkäufer, die sich bei einem Tee zwischen den Zeilen über die Willkür der Polizei beschwerten; Studenten, die in dem korrupten System Mubarak keine Aufstiegsmöglichkeiten sahen; Kioskbesitzer, die über ihr mageres Einkommen klagten. Dass sie mir teilweise ganz unverhohlen ihre vernichtende Meinung über die Zustände in der Politik mitteilten, sprach Bände. Sie erwarteten sich Hilfe von den Regierungen anderer Länder, sie sahen sich nicht in der Position etwas ändern zu können. Mit Sorge dachten einige laut über den nahenden Tod von Hosni Mubarak und einer wahrscheinlichen Machtübergabe auf seinen Sohn Gamal nach. Weitere dreißig Jahre Ausnahmezustand in einem Ägypten der Mubaraks?

Dass sie nicht weiter warteten und somit in ihr Schicksal ergaben, finde ich bewegend. Der Funke der Revolution in Tunesien zündete das Sprengfass Ägypten. Souvenirverkäufer, Studenten und Kioskbesitzer nahmen ihre Zukunft in die eigenen Hände. Während ich meinen Weg in Richtung Deutschland weiterging, befreite sich das Volk von seinen Fesseln. Niemand hat den Millionen von mutigen Ägyptern in den letzten Wochen wirklich geholfen. Wären sie gescheitert, hätte ihnen keine moralische Unterstützung aus dem Weißen Haus, keine Twitter- oder Facebookmitgliedschaft, keine aufmunternde Rede aus dem Berliner Kanzleramt die Haut gerettet. Wie ein System in dem der Knüppel der Polizei Gesetz ist auf eine gescheiterte Revolution reagiert, konnte man zuletzt im Iran verfolgen. Es gab kein Zurück. Es gab keine Kompromisse. Es gab nur “Wir” oder “Er”.

0144_blog_wdr_spinrath_400.jpgNiemand außer den Ägyptern darf sich deshalb auf die Schulter klopfen. Die Konten von Mubarak sind voller Geld, das genau diejenigen, die ihn nun immer kritisch betrachtet haben wollen, überwiesen haben. Und genau solche Konten gibt es in vielen anderen Ländern. Die Verhältnisse in Ägypten unter Mubarak waren kein Geheimnis und beispielsweise verglichen mit den direkten Nachbarn Libyen und Sudan nicht einmal ein bemerkenswert negativer Einzelfall. Dennoch werden auch die jüngsten Ereignisse in Ägypten diese Länder vermutlich nicht auf die “Landkarte der Empörung” setzen. Es gibt so viele Menschen in brutal und unrecht regierten Staaten überall in der Welt.

Ich hoffe, dass sie auch den Mut aufbringen sich zu wehren und dafür belohnt werden. Und ich hoffe, dass die Ägypter es nun wirklich geschafft haben und sich nicht von einem Diktator befreit haben, um bald den nächsten bekämpfen zu müssen.

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Auf der Durchreise
Manchmal muss man etwas Neues wagen. Einfach die Sachen packen, sein Zimmer untervermieten, in der Uni ein Urlaubssemester nehmen und in den nächsten Flieger springen: 1LIVE-Reporter Andreas Spinrath war monatelang auf der Suche nach spannenden Menschen, Orten und Geschichten in der Welt unterwegs – und immer auf der Durchreise. Erlebnisse zwischen Kalkutta, Kairo und Köln.
Ein Projekt von WDR 1LIVE


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