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Channel: Andreas Spinrath
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Lebenstraum: Krieg

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Sie verfehlten ihn nur knapp. Eine Kugel des Scharfschützen strich wenige Zentimeter an seinem Ohr vorbei, eine andere schlug direkt neben ihm ein. Es war Tom Daams erste Begegnung mit dem Tod – eine Begegnung, die er herausgefordert hatte. Damals kam er als Krisentourist, nun will er als Kriegsfotograf wieder nach Aleppo.

Tom Daams in Aleppo

Tom Daams in Aleppo (Foto: Tom Daams)

An diesem Morgen schlendert Tom Daams über die Kalverstraat im Herzen von Amsterdam. Die Straßen der niederländischen Hauptstadt sind trotz der herbstlichen Kälte voller Menschen. Touristen auf der Suche nach den typischen Klischees, Amsterdamer auf der Suche nach einem schönen Wintermantel. Keine Granaten, keine zerstörten Häuser, keine Toten. Es ist friedlich, der Kontrast zu Aleppo könnte nicht extremer sein. Ohne ein Wort Arabisch zu sprechen, ohne Versicherung, ohne Presseausweis und nur mit 300 Euro in der Tasche überquerte Daams im September illegal die türkische Grenze zu Syrien.
„Viele Leute haben mich vor der Reise naiv und dumm genannt.“, erzählt Daams. „Sie hatten Recht. Doch das war mir egal.“ Zwei Wochen war er in der Handelsmetropole, die der Bürgerkrieg zur Hölle gemacht hat. Die meiste Zeit verbrachte er mit den Rebellen, lag nachts schlaflos mit ihnen in verlassenen Wohnungen, begleitete sie tagsüber an die Front, immer in Angst vor Bombardements und den Scharfschützen.

Als er mit den Fotos aus Syrien wiederkam, ging alles ganz schnell. Aus Daams wurde plötzlich ein Kriegsfotograf. Seine eindrucksvollen Beobachtungen von Rebellen und Zivilisten erschienen in der renommierten Tageszeitung „de Volkskrant“. Die Titelseite schmückte ein Bild ebenjener Straße, auf dem er beinahe vom Scharfschützen getötet worden wäre. Daams wurde auf einmal in Talkshows und Radiosender eingeladen, seine Geschichte faszinierte und ängstigte das Publikum gleichermaßen.

All seine Gedanken drehen sich um Syrien, er kann nicht aufhören, davon zu erzählen, er will den Blick der Menschen auf das Leid lenken. Daams ist ein Getriebener: „Ich kann nicht aufhören, habe mein Leben dafür riskiert. Jetzt, wo ich endlich Kriegsfotograf bin, muss ich zurück. Das ist meine Mission.“

Mittlerweile ist es zwei Uhr nachmittags. Im geschäftigen Café de Jaren bestellt Daams einen Irish Coffee. Der 27-jährige Sohn einer Deutschen und eines Indonesiers ist ein gutaussehender Mann. Schwarzes, nach hinten gekämmtes Haar, ein markantes Kinn und braune Augen, deren stechender Blick viel über ihn erzählt. Er wirkt rastlos. „Schon früh habe ich davon geträumt, den Krieg zu dokumentieren. Ich war begeistert von Robert Capas Aufnahmen des D-Days.“

Syrischer Rebell in Aleppo

Ein Rebell der Freien Syrischen Armee in der verlassenen Wohnung seines verstorbenen Bruders. In der Wohnung haben sich Scharfschützen der FSA verschanzt. (Foto: Tom Daams)

Doch erst eine Katastrophe brachte Daams dazu, diesen Weg mit all seinen Konsequenzen einzuschlagen. Jahrelang hatte er sich nach seinem mühevollen Schulabschluss mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, da diagnostizierten Ärzte vor drei Jahren ein schweres Rückenleiden. „Von einem Tag auf den anderen war ich ans Bett gefesselt.“ Vier Monate verbrachte Daams fast ausschließlich liegend, er grübelte und isolierte sich von seiner Umwelt. Ihn quälten Selbstmordgedanken. Er beschloss seinen Lebenstraum vom Krieg zu verwirklichen. Kompromisslos. Erst trennte sich Daams von seiner langjährigen Freundin, dann brach er in seiner Heimatstadt Haarlem alle Zelte ab und zog zu seiner Mutter, die nach der Trennung von seinem Vater im niederrheinischen Goch lebte. Um sich zu finanzieren, fotografierte er Hochzeiten und Hunde, er fuhr nach Berlin und Athen und mischte sich dort mit der Kamera unter Demonstranten. „Ich musste lernen, mit Gewalt umzugehen. Ich war noch nicht gut genug.“, erklärt Daams auf dem Weg zum Fotografie-Museum „Foam“. Im September fühlte er sich bereit für den Krieg.

Das Museum zeigt derzeit eine Werkschau der Fotografin Diane Arbus, die in bewegenden Bildern die Außenseiter der amerikanischen Gesellschaft porträtiert. Das will auch Daams: Außenseitern eine Stimme geben. Er nennt sich Idealist.

Sein großer Einsatz kommt immer näher: In zwei Wochen wird er wieder dumm und naiv sein und zurück nach Aleppo reisen, auch wenn er diesmal einen Helm und eine kugelsichere Weste im Gepäck hat und als Kriegsfotograf wiederkehrt. Er bestellt in einer Kneipe neben dem Museum ein Bier und schweigt lange Minuten. Die Zeit in Aleppo sei hart gewesen, sagt er dann. Er sei schon jetzt ein „psychisches Wrack“, könne oft kaum schlafen. „Aber ich mache es gerne, denn ich lebe meinen Traum. Ich denke nicht an den Tod.“

Tom Daams verabschiedet sich. Die Kugeln werden ihm wieder bedrohlich nah kommen.

Diese Reportage ist Anfang November 2013 für meine Bewerbung an der Henri-Nannen-Schule entstanden. Ich traf Tom Daams im September 2012 im türkischen Gaziantep und habe mit ihm das letzte Bier vor seiner ersten Reise nach Syrien getrunken. Für “Lebenstraum: Krieg” haben wir uns nach seiner Rückkehr in Amsterdam verabredet.

Tom Daams war bis März 2013 in Aleppo. Seine Bilder findet man unter anderem auf seiner Homepage The Unknown Photographer.


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